Nuit der lebenden Toten

Ich war vorne auf der Veranda und ertränkte gerade eine Maus in einem Eimer, als ein Kombi vor dem Haus hielt, was ungewöhnlich war. An einem normalen Tag fahren vielleicht fünfzehn Autos am Haus vorbei, doch nie hält eins an, außer es handelt sich um Anwohner Außerdem war es spät, drei Uhr früh. Das Ehepaar von gegenüber ist um neun im Bett, und soweit ich das mitbekomme, geht bei den Leuten von nebenan eine Stunde später das Licht aus. In unserem Dorf in der Normandie gibt es keine Straßenbeleuchtung, das heißt, wenn es dunkel ist, dann richtig. Und in einer stillen Nacht hört man jedes Geräusch.

»Habe ich dir schon von dem Einbrecher erzählt, der im Kamin stecken geblieben ist?« Das war das große Ding im letzten Sommer. Einmal war es in dem hübschen Dorf am Fuße des Hügels, durch das ein Flüsschen geht, ein anderes Mal geschah es fünfzehn Meilen in der entgegengesetzten Richtung. Ich hörte die Geschichte von vier Leuten, und jedes Mal geschah sie woanders.

»Also, dieser Einbrecher«, sagten die Leute. »Er zerrte an Türen und Fenstern, und als die nicht nachgaben, stieg er aufs Dach.«

Immer war es ein Ferienhaus, ein Cottage, das Engländern gehörte, an deren Namen sich aber niemand erinnerte.

Das Paar war Anfang September abgereist und hatte bei seiner Rückkehr neun Monate später einen Schuh im Kamin entdeckt. »Gehört der dir?«, fragte die Frau ihren Mann.

Die beiden waren gerade erst angekommen. Die Betten mussten bezogen und die Schränke durchgelüftet werden, worüber der Schuh erst einmal in Vergessenheit geriet. Es war Anfang Juni, noch reichlich frisch, und abends entschloss sich der Mann, ein Feuer im Kamin zu machen.

An diesem Punkt der Geschichte waren die Erzähler stets außer sich, mit leuchtenden Augen, wie vom Schein eines Lagerfeuers. »Und das soll ich dir im Ernst glauben?«, sagte ich. »Ich bitte dich.«

Anfang des Sommers widmete die Lokalzeitung drei Spalten einem Camembert-Wettessen. Fotos zeigten die Teilnehmer mit hinter den Rücken gelegten Händen, die Gesichter tief in klebrigem Käse vergraben. Und das auf der Titelseite. In einer Gegend, die so arm an Nachrichten ist, würde ein Todesfall durch Verhungern schätzungsweise sechs Jahre lang die Schlagzeilen füllen.

»Warte nur«, bekomme ich zu hören. »Es kommt noch besser!«

Als immer mehr Rauch das Zimmer verqualmte, stieß der Mann einen Besen in den Kaminschacht. Irgendwas steckte im Abzug, und nachdem er wieder und wieder danach gestoßen hatte, löste sich der mittlerweile zum Skelett eingefallene Einbrecher und landete mit den Füßen voraus im Feuer. An dieser Stelle gab es immer eine Pause, die den Übergang zwischen der eigentlichen Geschichte und den sich anschließenden praktischen Fragen markierte, durch die sich das Ganze zuletzt in Luft auflöste. »Und wer war der Einbrecher?«, fragte ich. »Hat man den Leichnam identifiziert?«

Einmal war es ein Zigeuner, einmal ein Landstreicher und in den anderen zwei Versionen ein Araber. Keiner konnte sich genau erinnern, wo er herkam. »Aber es ist tatsächlich so gewesen«, sagten sie. »Du kannst jeden fragen«, womit sie den Nachbarn meinten, von dem sie die Geschichte hatten, oder die Person, der sie sie fünf Minuten zuvor erzählt hatten.

Ich glaubte keine Sekunde daran, dass ein Einbrecher in einem Kamin verhungert war. Ich glaube auch nicht daran, dass sein Skelett auf den Kaminrost knallte. Aber ich glaube an Gespenster, besonders, wenn Hugh nicht da ist und ich ganz allein auf dem Land bin. Während des Kriegs war unser Haus von den Nazis besetzt. Der frühere Eigentümer starb in seinem Schlafzimmer, genau wie der Besitzer davor, aber es sind nicht deren Geister, die mich beunruhigen. Ich weiß, es klingt dumm, aber tatsächlich fürchte ich mich vor Zombies, ehemaligen Dorfbewohnern, die mit eiterbefleckten Nachthemden umherirren. Der Friedhof liegt eine Viertelmeile von hier, und würden die dort Ruhenden aus dem Tor drängen und sich links halten, wäre unser Haus gleich das dritte am Weg. Wenn ich bei voller Festbeleuchtung im Bett liege, schmiede ich Fluchtpläne für den Fall, sollten sie wirklich einmal vor der Tür stehen. Der Dachboden scheint mir ein kluges Versteck, doch müsste ich dazu die Tür verbarrikadieren, wozu man nicht die Zeit hat, wenn Zombies im ganzen Haus zu den Fenstern einsteigen. Früher lag ich stundenlang im Bett wach, doch wenn Hugh jetzt über Nacht fort ist, bleibe ich einfach auf und beschäftige mich mit irgendwelchen Dingen: Briefe schreiben, den Backofen reinigen, fehlende Knöpfe annähen. Nur Wäschewaschen geht nicht, weil die Maschine zu viel Lärm macht und andere, bedeutsamere Geräusche übertönt – und zwar die schlurfenden Schritte der Untoten.

An dem Abend, als der Kombi vor dem Haus hielt, war ich in unserer Wohnküche und versuchte ein ziemlich kompliziertes anatomisches Modell eines Menschen zusammenzusetzen Der Rumpf bestand aus durchsichtigem Plastik, in den man die verschiedenen Organe einsetzen musste, deren Farben von leuchtend rot bis zu einem stumpfen, abstoßenden Purpur reichten. Wir hatten es als Geburtstagsgeschenk für einen Dreizehnjährigen gekauft, der es als ätzend bezeichnet und damit für unbrauchbar und wertlos erklärt hatte. Im Sommer davor hatte er noch Arzt werden wollen, doch schien er in den folgenden Monaten seine Meinung geändert zu haben und wollte jetzt lieber Schuhdesigner werden. Ich schlug ihm vor, wenigstens die Füße zu behalten, doch als er nur die Nase rümpfte, drückten wir ihm zwanzig Euro in die Hand und behielten das Modell für uns. Ich hatte gerade den Verdauungsapparat in seine Einzelteile zerlegt, als ich über mir ein vertrautes Geräusch hörte und den halben Dickdarm zu Boden fallen ließ.

Neben unserem Haus steht ein Walnussbaum, und jedes Jahr sammelt Hugh die Nüsse ein und legt sie zum Trocknen auf den Dachboden. Kurz danach kommen die Mäuse ins Haus. Ich weiß nicht, wie sie die Treppe heraufkommen, aber sie sind da, und ganz oben auf ihrer Liste steht, sich über Hughs Walnüsse herzumachen. Die Nüsse sind viel zu groß, um sie im Maul wegzuschaffen, also rollen die Mäuse sie quer über den Dachboden bis zu ihren Nestern, die sie in den Ritzen zwischen der Wand und dem Dachgebälk bauen. Dort stellen sie fest, dass die Walnüsse nicht hineinpassen. Ich kann mich darüber amüsieren, aber Hugh denkt anders und stellt auf dem Dachboden Fallen auf, die ich in der Regel entschärfe, bevor sich eine Maus darin verirrt. Bei Ratten wäre es etwas anderes, aber eine Hand voll Mäuse? »Also wirklich«, sage ich. »Kann es putzigere Tiere geben?«

Manchmal, wenn mir das Gerolle auf die Nerven geht, mache ich auf dem Dachboden das Licht an und tue so, als ob ich die Treppe heraufkäme. Eine Zeit lang herrscht dann Ruhe, aber in dieser Nacht wollte der Trick nicht funktionieren. Die Geräusche hielten an, aber es klang eher so, als würde etwas über den Boden geschleift anstatt gerollt. Eine Dachschindel? Eine schwere Scheibe Toast? Ich knipste wieder das Licht an, und als das Geräusch nicht aufhörte, stieg ich nach oben und fand eine Maus in einer von Hughs Fallen. Ihr Hinterteil war unter dem Metallbügel eingeklemmt, und sie zerrte die Falle in einem kleinen Kreis hinter sich her, nicht in der Agonie des Todes, sondern mit unbeugsamer Entschlossenheit und dem Vorsatz, trotz des ungewohnten Handikaps weiterzumachen. »Ich komme schon damit klar«, schien sie zu sagen. »Wirklich. Gebt mir nur eine Chance.«

Ich konnte sie unmöglich in diesem Zustand lassen, also schob ich die Maus mitsamt der Falle in einen Pappkarton und brachte sie nach unten auf die Veranda Die frische Luft, dachte ich, würde ihr gut tun, und wenn sie erst aus der Falle heraus wäre, könnte sie die Stufen hinunter in den Garten flitzen, fort von dem Haus, das für sie jetzt mit so schmerzhaften Erinnerungen verknüpft war. Ich hätte den Bügel mit den Fingern hochdrücken sollen, aber aus Angst, sie könnte mich beißen, hielt ich die Falle mit dem Fuß fest und versuchte sie mit dem Ende eines Metalllineals aufzuhebeln. Eine ziemlich schwachsinnige Idee. Kaum war der Bügel oben, schnappte er auch schon wieder zu, diesmal der Maus genau ins Genick. Meine nächsten drei Versuche waren ähnlich schmerzhaft, und als sie endlich frei war, schleppte sie sich bis zur Fußmatte, jeden einzelnen Knochen im Leib mindestens viermal gebrochen. Jeder konnte sehen, dass sie nicht wieder auf die Beine kommen würde. Nicht einmal ein Tierarzt hätte diese Maus wieder hinbekommen, weshalb ich beschloss, das Tier von seinem Leiden zu erlösen und es zu ertränken.

Der erste Schritt, und für mich der schwierigste des ganzen Unterfangens, bestand darin, in den Keller zu gehen und einen Eimer zu holen. Ich musste dazu die gut ausgeleuchtete Veranda verlassen, ums Haus herumgehen und in das unzweifelhaft finsterste und furchterregendste Loch in ganz Europa hinabsteigen. Eine niedrige Decke, Steinwände, ein verdreckter Boden, auf dem die Abdrücke von Tatzen zu sehen sind. Ich gehe nie hinein, ohne mich vorher laut anzukündigen. »Hüah!«, rufe ich. »Hüah! Hü-ah!« Mein Vater stößt diesen Schrei aus, wenn er in seinen Werkzeugschuppen geht, oder Cowboys beim Zusammentreiben der Kälber, und er signalisiert ein gewisses Maß an Autorität. Schlangen, Fledermäuse, Wiesel – höchste Zeit für euch, alles stehen und liegen zu lassen und zu verschwinden. Ich näherte mich dem Keller mit einer Taschenlampe in jeder Hand, die ich wie Pistolen in Anschlag hielt. Dann trat ich die Tür auf – »Hüah! Hüah! –, schnappte mir, wonach ich suchte, und rannte los. In weniger als einer Minute war ich wieder auf der Veranda, doch dauerte es noch eine ganze Weile, bis meine Hände aufhörten zu zittern.

Das Problem, ein Tier zu ertränken – selbst ein schwer angeschlagenes –, besteht darin, dass es nicht kooperieren will. Diese Maus hatte nicht mehr viel zu erwarten, kämpfte aber dennoch mit schier unglaublichen Reserven um ihr Leben. Ich versuchte sie mit einem Besenstiel unter Wasser zu drücken, aber es war nicht das richtige Instrument, und die Maus kämpfte sich immer wieder frei und kam an die Oberfläche geschwommen. Ein Tier mit einem solchen Überlebenswillen möchte man eigentlich ziehen lassen, dabei dachte ich nur an sein Wohl, ob es dies nun einsehen konnte oder nicht. Ich hatte es gerade geschafft, die Maus am Schwanz auf dem Eimerboden zu fixieren, als der Kombi angefahren kam und vor dem Haus hielt. Ich sage »Kombi«, dabei war es eher schon ein Kleinbus mit Seitenfenstern und drei Sitzreihen. Das Fernlicht war eingeschaltet, und die Straße glänzte schwarz und makellos im Licht der Scheinwerfer.

Nach einem kurzen Moment ging das Fenster auf der Fahrerseite herunter, und ein Mann streckte seinen Kopf in den Lichtschein, der von der Veranda fiel. »Bonsoir«, rief er. Es klang wie der Ruf eines Schiffbrüchigen, der im Rettungsboot sitzt und einem vorbeifahrenden Schiff »Ahoi!« zubrüllt, und ich hatte den Eindruck, er war überaus glücklich, mich zu sehen. Als er die Tür öffnete, ging die Innenbeleuchtung an, und ich erkannte fünf weitere Personen im hinteren Teil des Wagens, zwei Männer und drei Frauen, die mich alle mit dem gleichen Ausdruck der Erleichterung ansahen. Es waren alles ältere Leute, vermutlich in den Sechzigern oder Anfang der Siebziger, und alle hatten weiße Haare.

Der Fahrer beschäftigte sich mit einem kleinen Buch, das er in seiner Hand hielt. Dann sah er kurz zu mir herüber und versuchte den gerade gelesenen Satz noch einmal laut zu wiederholen. Es war Französisch, nur konnte man ihn kaum verstehen, da er einfach nur die Laute nachmachte, ohne jedes Gespür für die Betonungen.

»Sprechen Sie Englisch?«, fragte ich.

Der Mann klatschte in die Hände und drehte sich nach hinten zu seinen Mitreisenden. »Er spricht Englisch!« Die Neuigkeit wurde mit großer Freude aufgenommen und für eine der Frauen übersetzt, die offenbar seine Bedeutung nicht verstand. Inzwischen war meine Maus wieder an die Oberfläche getrieben und schabte mit ihrer noch heilen Pfote gegen die Eimerwand.

»Wir suchen nach einer bestimmten Adresse«, sagte der Fahrer. »Ein Haus, das wir mit Freunden gemietet haben.« Er redete laut und mit einem leichten Akzent. Holländer, dachte ich, oder Skandinavier.

Ich fragte, in welchem Dorf das Haus sei, und er sagte, es sei kein Dorf, nur ein kleiner Veiler.

»Ein was?«

»Ein Veiler«, wiederholte er.

Entweder hatte er einen Sprachfehler, oder der Buchstabe w existierte nicht in seiner Muttersprache. Wie auch immer, ich wollte, dass er es noch einmal sagte.

»Entschuldigung«, sagte ich. »Aber ich habe Sie nicht genau verstanden.«

»Ein Veiler«, sagte er. »Freunde von uns haben ein Haus in einem kleinen Veiler gemietet, und wir können ihn einfach nicht finden. Wir sollten schon seit Stunden da sein, aber jetzt haben wir völlig die Orientierung verloren. Kennen Sie sich in der Umgebung aus?«

Ich bejahte, musste aber passen, als er mir den Namen der Ortschaft nannte. Es gibt unzählige kleine Weiler in unserem Teil der Normandie, oft kaum mehr als eine Hand voll Steinhäuser, die irgendwo im Wald verborgen sind oder am Ende eines Schotterwegs liegen. Hugh hätte den Ort vielleicht gekannt, aber weil ich selbst nicht fahre, achte ich meist nicht so genau auf die Ortsnamen. »Ich habe eine Wegbeschreibung«, sagte der Mann. »Möchten Sie vielleicht einen Blick darauf werfen?«

Er stieg aus dem Kombi, und ich sah, dass er einen weißen Trainingsanzug aus Nylon trug, mit schlottrigen Beinen und sich eng um die Knöchel spannenden Bündchen. Man hätte Turnschuhe zu einem solchen Outfit erwartet, doch stattdessen hatte er schwarze Halbschuhe an. Das Tor zur Straße stand offen, und als er die Treppe heraufkam, fiel mir ein, womit ich gerade beschäftigt war und wie befremdlich es dem Besucher vorkommen musste. Einen Moment dachte ich, dem Mann entgegenzugehen, doch da stand er schon auf dem Treppenabsatz und streckte zur Begrüßung seine Hand aus. Ich nahm sie, als er das leise Plätschern hörte und in den Eimer sah. »Oh«, sagte er. »Wie ich sehe, haben sie eine kleine Schwimmmaus.« Sein Tonfall schien keine Erklärung zu verlangen, also verkniff ich mir einen Kommentar. »Meine Frau und ich haben einen Hund«, fuhr er fort. »Aber wir haben ihn nicht mitgenommen. Zu umständlich.«

Ich nickte, und er hielt seine Karte hin, die Kopie einer Kopie, auf der lauter Pfeile eingezeichnet waren und dazu Erklärungen in einer Sprache, die ich nicht kannte. »Ich glaube, ich habe drinnen was Besseres«, sagte ich und bat ihn ins Haus.

Ein unerwarteter und fremder Besucher ermöglicht es einem, die vertrauten vier Wände wie zum ersten Mal zu sehen. Ich denke da an den Stromableser, der um acht Uhr früh durch die Küche stiefelt, oder die Zeugen Jehovas, die ganz unverhofft im Wohnzimmer stehen. »Bitte sehr«, scheinen sie zu sagen. »Sehen Sie mit meinen Augen. Der Blick ist viel schärfer.« Ich hatte unsere Wohnküche immer für sehr einladend gehalten, aber als ich durch die Tür trat, stellte ich fest, dass ich mich geirrt hatte. Der Raum war nicht schmutzig oder unaufgeräumt, aber ebenso wie zu nachtschlafender Zeit noch auf zu sein, hatte er etwas leicht Verdächtiges. Ich sah auf das anatomische Modell, das ausgebreitet auf dem Tisch lag. Die Einzelteile lagen im Schatten eines großen ausgestopften Huhns, das sie argwöhnisch zu betrachten und sich zu fragen schien, welches Organ wohl das schmackhafteste wäre. Der Tisch war ganz ansehnlich – solide getischlerte Eiche –, aber die Stühle waren wild zusammengewürfelt und alle mehr oder weniger reparaturbedürftig. Über einer Stuhllehne hing ein Handtuch mit dem Aufdruck des amtlichen Leichenbestatters von Los Angeles. Wir hatten es nicht gekauft, sondern geschenkt bekommen, aber es hing eben da und lenkte den Blick auf ein daneben stehendes Sofa, auf dem zwei Ausgaben eines reißerischen Magazins über wahre Verbrechen lagen, das ich nur deshalb regelmäßig kaufe, um mein Französisch zu verbessern. Auf dem Cover der jüngsten Ausgabe war das Bild einer jungen belgischen Frau abgebildet, die beim Zelten mit einem Schlackeziegel erschlagen worden war. »Lauert in ihrer Gegend ein Serienmörder?«, fragte die Schlagzeile. Die zweite Ausgabe war auf der Seite mit dem Kreuzworträtsel aufgeschlagen, mit dem ich mich früher am Abend beschäftigt hatte. Eine der Fragen lautete übersetzt »weibliches Geschlechtsorgan«, und in die entsprechenden Kästchen hatte ich das französische Wort für Vagina eingetragen. Es war das erste Mal, dass ich ein Wort in einem französischen Kreuzworträtsel wusste, und zur Feier des Tages hatte ich hinter jeden einzelnen Buchstaben fette Ausrufezeichen gesetzt.

Ein bestimmtes Thema schien sich herauszuschälen und durch immer neue Hinweise zu verdichten: Das Handbuch für Pistolen und Gewehre, das rein zufällig ganz vorne im Regal stand, oder das Hackmesser, das aus unerfindlichen Gründen auf einer Fotografie der Enkelin unseres Nachbarn lag.

»Das hier ist mehr unser Sommerhaus«, sagte ich, und der Mann nickte. Er betrachtete den Kamin, dessen Öffnung etwas höher als er selbst war. Ich sehe meist nur das solide Mauerwerk und den hohen Eichensims, doch ihn interessierten vor allem die spitzen Haken, die aus dem rußgeschwärzten Innern herunterhängen.

»Sämtliche Häuser entlang der Strecke waren dunkel«, sagt er. »Wir sind, glaube ich, seit Stunden unterwegs, um jemanden zu finden, der noch wach ist. Dann sahen wir bei Ihnen Licht, die offene Tür ...« Ich kannte diese Worte aus unzähligen Horrorfilmen, der unberechenbare Gast, der sich dem Grafen, dem verrückten Wissenschaftler, dem Werwolf vorstellt, um sich im nächsten Augenblick zu verwandeln.

Es tut mir wirklich leid, Sie zu belästigen.

Ach, keine Ursache, ich war gerade dabei, eine Maus zu ertränken. Kommen sie doch rein.

»Tja«, sagt der Mann. »Sie sagten, Sie hätten eine Straßenkarte.«

Ich hatte mehrere und zog die genaueste aus einer Schublade, in der unter anderem noch ein kurzes Stück Seil und ein Juxstift in der Form eines abgehackten Fingers lagen. Wo kommt das ganze Zeug nur her?, fragte ich mich. Neben dem Tisch steht ein halbhoher Schrank, auf dem ich die Karte ausbreitete, nachdem ich den kleinen Totenkopf eines Äffchens zur Seite geschoben hatte. Ich suchte nach unserer Straße und dann nach dem Weiler, zu dem der Mann wollte. Er lag keine zehn Meilen entfernt. Der Weg war ziemlich einfach, aber ich bot dem Mann dennoch die Karte an, damit er sich unterwegs sicherer fühlte.

»Oh, nein«, sagte er, »das ist wirklich nicht nötig«, aber ich bestand darauf und verfolgte von der Veranda aus, wie er damit die Stufen hinunterlief und in den Wagen stieg, dessen Motor noch im Leerlauf lief. »Wenn Sie Probleme haben, Sie wissen, wo ich wohne«, sagte ich. »Sie und Ihre Freunde können gerne die Nacht hier verbringen. Das ist ein aufrichtiges Angebot. Es sind genügend Betten im Haus« Der Mann im Trainingsanzug winkte zum Abschied, fuhr den Hügel hinunter und verschwand hinter dem Spitzdach des Nachbarn. Die Maus, die so tapfer gegen einen Besenstiel gekämpft hatte, war schließlich eingeknickt und trieb leblos auf dem Wasser. Im ersten Moment wollte ich den Eimer in der Wiese hinterm Haus ausschütten, doch ohne die Lichter und das beruhigende Motorengeräusch des Kombis schien mir das Gelände jenseits der Veranda zu unheimlich. Das Innere des Hauses kam mir mit einem Mal genauso vor, und so stand ich da und blickte auf das hinaus, was von jetzt an mein Veiler sein würde. Wenn die Sonne aufging, würde ich meine Toten begraben und einen Strauß Hortensien in den Eimer stellen, ein wenig Leben und Farbe, so hübsch auf dem Tisch. So angenehm für das Auge.